Interview mit Rudolf Scharping
Regieren ist schöner als opponieren.

fOLIUM: Die Finanzstaatssekretäre von Bund und Ländern haben sich dafür ausgesprochen, Informanten der Steuerbehörden eine Belohnung in Aussicht zu stellen. Sie haben sich gegenüber der "Berliner Morgenpost" dahingehend geäußert, daß die SPD eine solche Regelung eventuell mittragen würde. Schafft man damit nicht einen Anreiz in der Privatssphäre anderer herumzuschnüffeln und auf nicht immer legalem Weg an Informationen zu gelangen?
Scharping: Wohl wissend das man das nicht vergleichen kann möchte ich darauf hinweisen, das im deutschen Zollrecht solche Bestimmungen schon enthalten sind. Das auch Informanten des Verfassungsschutzes honoriert werden. Das im anglo-amerikanischen Rechtskreis, das genauso gilt und das wir auch eine Kronzeugenregelung haben, wenn auch ohne finanzielle Regelung. Das sind alles Regelungen, die darauf hindeuten, das in der Rechtsprechung und in der Gesetzgebung eine Güterabwegung statt findet. Was ist schädlicher für die Allgemeinheit ? Die mangelnde Möglichkeit eine schwere Straftat aufzuklären oder im Zweifel jemanden zu honorieren, der diese Straftat anzeigt. Ich möchte dabei noch mal ausdrücklich unterstreichen, daß ich gesagt habe, daß der kriminelle Gehalt einer millionenschweren Steuerhinterziehung es durchaus rechtfertigen kann, die Information dafür und damit die Chance für die Aufklärung einer solchen schweren Schädigung allgemeiner Interessen zu honorieren.

fOLIUM: "Alle großen Ideen stammen aus der Bewegung für Menschenrechte und soziale Demokratie, alle großen Ideen stammen von uns. Alle Ideale einer menschlichen Entwicklung kommen von unseren Vorvätern." Kommt Ihnen Dieses Zitat bekannt vor ?
Scharping: Sie werden mir schon auf die Sprünge helfen.

fOLIUM: Es stammt von Ihnen. Gesprochen am 22.06.1997 auf dem IUSY-Festival in Bonn. Bei allen Errungenschaften, die man der Sozialdemokratie durchaus zugestehen möchte, ist das nicht doch etwas vermessen gewesen ?
Scharping: Ich habe zunächst damals auf dem Treffen der sozialdemokratischen Jugend darauf hingewiesen, daß die Sozialdemokratie die einzige Kraft ist, die auf der ganzen Welt, der entwickelten Welt genauso wie der weniger entwickelten, zu finden ist. Und das sie folglich die größte Chance hat, globale Probleme, globale Herausforderungen und globale Aufgaben zu formulieren und zu ihrer Lösung beizutragen. Das hat mit einer bestimmten Tradition zu tun, und das genau macht den Unterschied aus. Wer wollte denn bestreiten, daß die Griechen oder die Römer großartige Ideen hervorgebracht haben, aber demokratisch waren sie nicht. Und das der Liberalismus für die geistigen Freiheiten und für die Entwicklung politischer Demokratie in Deutschland viel getan hat, ist unbestreitbar. Aus welchen Motiven auch immer. Das Preußentum hat zu seinen besten Zeiten auch sehr viel dazu beigetragen. Das war Humanität aus Nützlichkeit, wie es Dönhoff mal gesagt hat. Das sind alles Entwicklungen, die ich respektiere und die ihren inneren Wert und ihren Fortschrittskern haben. Aber die Frage nach dem sozialen Kern der Freiheit ist erst mit den Vorläufern der 48er Bewegung, die in Deutschland ja leider als Tradition nicht gepflegt wird, gestellt worden. Die erste Republik - leider auf französischen Bajonetten - aber immerhin die erste demokratische Republik 1798 in Mainz, wer weiß das schon. Wer weiß schon, daß die Polen, die Franzosen, die Deutschen 1832 auf dem Hambacher Schloß die Errungenschaften der französischen Revolution gemeinsam verteidigt haben. Mit 30.000 Leuten eine für damalige Zeiten riesige Demonstration. Und ohne das jetzt weiter zu vertiefen, möchte ich darauf aufmerksam machen, daß da die Wurzeln der Sozialdemokratie liegen und das zu dieser Zeit schon die ersten Menschen aufgetaucht sind, die die Frage nach dem sozialen Gehalt der politischen Freiheit gestellt haben. Das ist ein Punkt, den man in der Philosophie vorangegangener Zeiten nicht findet. Das ändert natürlich nichts an den großartigen Ideen, die entwickelt worden sind und an der gewaltigen denkerischen Leistung. Aber ich kenne keinen der den sozialen Kern der Freiheit gedacht hätte, als egalitäres Prinzip. Als etwas, was jedem Menschen zusteht.

fOLIUM: Zum Schluß noch die Wahlprognose von Ihnen. Glauben Sie das die SPD eine reelle Chance hat, bei der nächsten Bundestagswahl, die Regierung abzulösen.
Scharping: Erstmal gibt es ja so etwas, wie ein Pflichtbewußtsein, daß zum Optimismus führt. Bei mir ist es aber mehr als Pflichtbewußtsein, sondern wirklich die Einschätzung, daß wir nicht nur eine große Notwendigkeit, sondern auch eine große Chance zur Veränderung in Deutschland haben.

fOLIUM: Die SPD wird also nicht wieder in ihren alten Trott verfallen ? Scharping: Ich war von 1975 bis 1991 sechzehn Jahre lang Abgeordneter einer Oppositionspartei und dann war ich Regierungschef. Und ich muß Ihnen ehrlich sagen regieren macht Schwierigkeiten, es ist eine ernste und harte Arbeit, aber allemal schöner als opponieren.

Auszug aus fOLIUM 1/98