Der neue Spass am Geniessen
Vom Kult um die Zigarre.

Sigmund Freud tat es, Alfred Hitchcock auch, Linda Evangelista tut es heute, ebenso Bruce Willis und Winston Churchill schaffte in seinem Leben sogar 300000 Stück. Die Rede ist vom Zigarre rauchen. Noch vor einigen Jahren verband man mit dem Anblick einer Zigarre das Erscheinungsbild eines korpulenten Mittfünfzigers in leitender Funktion in Industrie und Gesellschaft, der mit uns seinem "Ich-hab's-geschafft"-Glimmstängel auf die Nerven ging. Doch plötzlich ist alles anders. Nicht nur auf der Kinoleinwand, nein auch in der Bar und auf Uni-Feten rauchen ER und SIE Zigarre. Ein Trend, in Hamburg schon seit geraumer Zeit bemerkbar, der nun auch schleswig-holsteins Landeshauptstadt erreicht hat. Mit der Entdeckung Amerikas kam die Zigarre nach Europa und auch heute hat die jüngste Zigarrenwelle ihren Ursprung in der neuen Welt. Seit rund vier Jahren boomt der Zigarrenmarkt in den USA, während dieser Zeit stieg die Zahl der jährlich verkauften Exemplare von 100 Millionen Stück (1992) auf ca. 250 Millionen Stück (1996). In Zentren wie New York oder Las Vegas verbuchte man sogar Umsatzzuwächse von 60 % bis 90 % pro Jahr. Allerorten werden Cigar Parties und Cigar Dinners abgehalten, Cigar Bars, Cigar Saloons und Cigar Clubs schießen aus dem Boden. Die Ursache dieser neuen Lust am dicken Glimmstängel läßt Experten grübeln. Zum Teil wird darin eine Art von Widerstand gegen die zunehmende Gängelung und staatliche Bevormundung der Raucher gesehen. Die Zigarette, wird danach wie zum Trotz durch die Zigarre ersetzt. Zudem werden gesundheitliche Gründe für den Umstieg verantwortlich gemacht, denn da der Zigarrengenießer nicht auf Lunge raucht, sondern nur pafft, gefährdet er nicht in dem Maße die Lunge, wie der Zigarettenraucher. Dafür kann der starke Zigarrenkonsum zu Gaumenkrebs führen. Einem anderen Erklärungsversuch zufolge, ist der Trend einfach Teil der in den USA entdeckten Freude an gehobenen kulinarischen Genüssen, der schon die Kaffee- und Biermentalität der US-Amerikaner verändert hat. Einer weiteren These nach hängt der Boom mit der Schnellebigkeit und der Hektik in der heutigen Gesellschaft zusammen. Als Reaktion auf diesen Lebensstil entwickelt sich ein Trend zu mehr Lebensqualität und zwar nicht nur bei kulinarischen Genüssen. Es ist vielmehr ein Streben nach mehr Vergnügen, Sinnlichkeit und Leidenschaft. Ausdruck dieser Stimmung ist die gute Zigarre - schließlich symbolisiert kaum etwas besser als sie Ruhe, Genuß und Müßiggang. Vermutlich ist es wohl etwas von jedem, was der Zigarre neuen Leben eingehaucht hat und dieser Hauch hat nun auch die alte Welt erreicht. Auch hier Umsatzsteigerungen von 20 % und mehr, insbesondere im Bereich der Premium-Zigarren aus der Karibik. Dabei ist die Käuferschicht laut Jochen-Gunnar Trennt, Inhaber des Kieler Traditionsgeschäfts tabac trennt, nicht nur angewachsen, "es ist eine ganz neue hinzugekommen". Bei diesen neuen Konsumenten handelt es sich gerade auch um junge Menschen, die "ab und zu vorbeikommen und ein bis drei Premium-Zigarren kaufen", so auch Herbert Motzek, ebenfalls Kieler Zigarrenhändler. Die Gründe dürften dabei die gleichen sein, wie in den Vereinigten Staaten. Eine Mischung aus Anti-Nichtraucherprotest, gesteigertem Genußbewußtsein, Suche nach Zeit zur Muße - kurz ein Ausdruck von Persönlichkeit und Stimmung. Eine Entwicklung, die durch die häufige Präsents der dicken Dinger in und um Hollywood noch verstärkt wird. Ob nun Sharon Stone, Arnold Schwarzenegger, Demi Moore oder Nicolas Cage - man raucht Zigarre, frau auch. Da will der deutsche Film natürlich nicht zurückstehen und so sieht man nun auch Til Schweiger, Veronica Ferres & Co. im dichten Qualm stehen. Gegenüber ihren amerikanischen Genußgenossen haben deutsche Aficinados den großen Vorteil legal der Königin der Zigarren frönen zu können - der "Havana", die dank US-Embargo für die "Yankees" verbotene Frucht ist. Montecristo, Romeo y Julieta, Bolivar, Cohiba - die Namen der kubanischen Freudenspender zergehen auf der Zunge und sie gelten als die besten Zigarren der Welt. Im Tal Pinar del Rio wachsen ihre Tabake, die dann von den rund 3000 Zigarrenrollern des Landes zu genußvollen Kunstwerken geformt werden. Weder Revolution, noch Embargo oder die wirtschaftlichen Probleme Kubas in den letzten Jahren konnten an der Stellung als numero uno in der Welt der Zigarren ernsthaft rütteln. Unterstrichen wird die Ausnahmestellung der kubanischen Tocedores - Wickler - durch den Umstand, daß auch in den übrigen karibischen Zigarrenfabriken Exilkubaner wesentlich dazu beigetragen haben, daß die Produkte der Dominikanischen Republik, Honduras oder Nicaraguas zu den Havanas aufgeschlossen haben. Trotz des Anstiegs der letzten Monate ist die Bundesrepublik jedoch immer noch Entwicklungsland, wenn es um den Import von kubanischen Marken geht. Noch nicht mal 3 Millionen der in Deutschland gerauchten 1,1 Milliarden Stück kommen von Castros Insel (im Vergleich: Spanien importiert jährlich ca. 30 Millionen). "Das Hauptgeschäft läuft immer noch mit den normalen Zigarren" bestätigt Jochen-Gunnar Trennt. Normal heißt in diesem Fall meist Zigarre aus deutscher oder niederländischer Produktion, die weitaus günstiger sind als ihre karibischen Verwandten, aber meist auch weniger genußvoll. Letzteres ist natürlich eine Frage des Geschmacks und über den läßt sich bekanntlich prächtig streiten. Dennoch gibt es Kriterien, die für den Geschmack einer Zigarre von Bedeutung sind. Jede Zigarre besteht aus drei Teilen. Technisch unterscheidet man in Einlage, Umblatt und Deckblatt. Die Einlage besteht aus einer Komposition verschiedener Tabake, sie wird wiederum in drei Kategorien unterteilt. Short Filler - kurzgeschnittene Einlage - kommen hauptsächlich bei maschinell hergestellten Zigarren aus europäischer, südamerikanischer und asiatischer Produktion vor. Long Filler - lange Tabakstreifeneinlage - findet man in den handgerollten Zigarren der Dominikanischen Republik, Honduras und anderer karibischer Länder. Eine Sonderform bilden einige kubanische Zigarren, die Blatt auf Blatt mit der Hand gerollt werden. Das Umblatt besteht aus einem Tabakblatt oder einem Teil davon und hält die Einlage zusammen. Schließlich das Deckblatt, es ist wichtiger Geschmacksträger für Zigarren und Zigarillos. Außerdem beeinflußt es Aussehen und Glimmfähigkeit. Die gebräuchlichsten Sorten sind Sumatra (hell) und Brasil (dunkel), daneben Connecticut und das kubanische Havanna-Deckblatt. Soweit die technischen Unterteilung - für den Raucher besteht die Zigarre aus dem Heu, dem Herrlichen und dem Konzentrierten. Er beschreibt damit die drei Phasen des Rauchgenusses, vom Anrauchen über die wahre Entfaltung des ganzen Aromas bis zu dem Teil der sich nicht umsonst der Konzentrierte nennt. Wer ihn erreicht hat sollte die Zigarre langsam in den Ascher legen und ausgehen lassen, nicht ausdrücken. Tatsächlich gibt es eine Reihe von Benimm-Regeln, die der Zigaren-Knigge empfiehlt. Bei der Auswahl seiner Zigarre sollte man darauf achten, daß das Deckblatt einheitlich aussieht und keine Abblätterungserscheinungen aufweist. Die Zigarrenspitze sollte dann mit der scharfen, glatten Klinge einer Zigarrenguillotine abgeschnitten werden und nicht abgebissen. Beim Anzünden das Brandende zunächst gleichmäßig anglimmen, erst dann sachte ziehen. Ohnehin sollte man starkes Ziehen auch während des Rauchens vermeiden, erst recht sollte man es lassen, den Rauch zu inhalieren. Ob man die Zigarrenbinde vor dem Rauchen entfernt oder nicht sei jedem im Prinzip selbst überlassen, aber Vorsicht, einige Binden sind leicht befestigt. Ein Absteifen könnte daher das Deckblatt verletzen. Besser man wartet in diesen Fällen, bis die Glut heran ist und sich durch die Hitze der Leim löst. Das Rauchen einer Zigarre bedarf Zeit und Aufmerksamkeit. "Zigarren sind wie Frauen - schenkt man ihnen nicht genug Aufmerksamkeit, gehen sie aus.", so einst Zigarrenpapst Zino Davidoff. Der Vorteil von Zigarren ist, man kann sie wieder anzünden.

aus: fOLIUM 2/97