Einer der berühmtesten
Söhne der Moldaumetropole schrieb einst über Prag "dieses Mütterchen hat Krallen"
und Kafka hatte recht. Seit ich als Schüler das erste mal nach Prag kam, komme
ich nicht mehr los. So stand für mich schon zu Beginn des Referendariats fest,
dass ich eine Station in der tschechischen Hauptstadt absolvieren werden.
Im März dieses Jahres war es dann soweit, ich begann meine Wahlstation bei
der DTIHK, der Deutsch-Tschechischen Industrie- und Handelskammer in Prag.
Bei minus vier Grad Celsius und Schneeregen erreichte ich die Wohnanlage der
Deutschen Botschaft, in der ich den ersten Monat verbringen sollte. Die Wohnanlage
entpuppte sich als grau-grauer Plattenbau aus sozialistischen Tagen und war
einst Eigentum der Deutschen Demokratischen Republik. Auch im Inneren des
1-Zimmerappartements war der Charme des alten Ostens noch spürbar, die Möbel,
eine Art Leipziger Allerlei, waren zwar von Designerpreisen weit entfernt,
aber praktisch. Überhaupt gewöhnte man sich erstaunlich schnell an das ungewohnte
Umfeld.
Dieses änderte sich auch nicht sonderlich, als ich für die übrigen drei Monate
in eine durch die Kammer vermittelte Wohnung im Süden Prags umsiedelte. Zwar
waren die Inneneinrichtung hier dank eines allseits bekannten schwedischen
Möbelhauses moderner, die ‚Platte' aber blieb.
Dieser die Stadt umfassende Gürtel von Betonmonstern ist dann aber auch das
Einzige, was einen daran erinnert, dass Prag vor kaum mehr als zehn Jahren
noch im sogenannten Ostblock lag. Im Zentrum und auch in den an das Zentrum
anliegenden Stadtteilen ist vom maroden Charme des Sozialismus nicht mehr
viel zu sehen. Wer in der Innenstadt shoppen geht, dem begegnet weitgehend
das gleiche Warensortiment wie in Hamburg oder Berlin. Von C&A bis Channel
ist alles zu haben und selbst der Preis für westliche Konsumgüter ist nahezu
identisch. Lebensmittel sind dagegen, soweit sie aus tschechischer oder slowakischer
Herstellung kommen, deutlich günstiger.
Allgemein sind die Lebenshaltungskosten mindestens 50 % niedriger, dies gilt
vor allem auch für alle Arten von Dienstleistungen, wie etwa dem Friseur oder
dem ÖPNV.
Direkt im Herzen der Stadt,
am Wenzelsplatz, liegen die Räume der DTIHK im 6. Stock eines Bankgebäudes.
Die Kammer in Prag beschäftigt etwa 23 festangestellte Mitarbeiter, davon
drei Deutsche. Die Kammersprache ist deutsch, so dass die Verständigung auch
ohne Tschechisch-Kenntnisse kein Problem darstellt. Überhaupt sprechen viele
Tschechen deutsch, andere englisch - dennoch kann es nicht schaden sich zumindest
ein paar gängige tschechische Sätze einzuprägen.
Hauptaufgabengebiet der Referendare in der Kammer bildet das sog. Inkassogeschäft,
eine Mischung aus Forderungseintreibung und Schlichtungsverfahren. Bei Streitigkeiten
im deutsch-tschechischen Handelsverkehr vermittelt die DTIHK zwischen den
Parteien, um gerichtliche Auseinandersetzungen zu vermeiden. Die Fälle werden
von den Referendaren verantwortlich betreut. So gehört es auch zu den weiteren
Aufgaben alle Anfragen mit rechtlichem Hintergrund zu beantworten, soweit
es sich dabei um Basisberatung handelt. Die Bandbreite der Themen ist sehr
weit, wobei der Schwerpunkt im Wirtschaftsrecht liegt.
Viele Anfragen beschäftigten sich mit Unternehmensgründungen in Tschechien
sowie mit Arbeits- und Aufenthaltsbestimmungen. Andere Anfragen kamen u.a.
zum tschechischen Konkursrecht, zur Vollstreckung von Titeln, zur Steuerreform
in Deutschland, sowie zum Urheber,- Zoll- oder Ausländerrecht. Für die Beantwortung
standen einem die wichtigsten Gesetzestexte in deutsch oder englisch zur Verfügung.
Daneben einige Merkblätter und Publikationen der DTIHK, in denen häufig auftretende
Fragen zusammengefasst waren. Die Aktualisierung der Merkblätter war eine
weitere Aufgaben, die Mitarbei an der Kammerzeitschrift PLUS und dem Jahresbericht
der DTIHK, u.a. zum Stand der Beitrittsverhandlungen Tschechiens zur EU. Die
rechtlichen Fortschritte im Hinblick auf den Beitritt waren auch Thema von
Vorträgen vor Rechtsreferendaren bzw. einer Gruppe Marburger Studierender
im Goethe-Institut.
Alljährlicher Höhepunkt des gesellschaftlichen Kammerlebens ist der im Juni
stattfindende Ball auf der in der Moldau gelegenen Sophieninsel. In dem Neorenaissancepalais
Zofìn feiern dann 500 Gäste aus Industrie, Handel, Kanzleien und Verbänden
eine rauschende Ballnacht.
Apropos Nacht, das Prager
Nachtleben kann mit dem anderer europäischer Metropolen locker mithalten.
Die Zahl der Bars und Bierlokale ist legendär und bietet für jeden Geschmack
etwas. Sei es eine urige, verrauchte, typisch tschechische Kneipe, wie der
‚Goldene Tiger' oder die durchgestylte bestens sortierte Cocktailbar, wie
das ‚Tretters'. Egal wo man hingeht, man hat selten Schwierigkeiten mit anderen
ins Gespräch zu kommen. Auch die Tanztempel der Prager sind mittlerweile erstklassig
und bieten von Rock bis Techno was das Herz begehrt. Wer Musik lieber live
hört ist in den Theatern und der Oper sowie den Jazz-Clubs und den vielen
anderen Musikclubs bestens aufgehoben.
Eine tschechische Institution sind die Kaffeehäuser. Sie sind mehr als nur
Cafes, gleichsam Schmelztiegel Intellektueller wie Wenzel-Normalverbraucher.
Bisweilen beinahe nationales Heiligtum, wie das Slavia. In diesem Apfelstrudelpalast
an der Moldau soll Smetana die selbige komponiert haben und wenn man am Fenster
mit Blick auf den Fluß sitzt, will man das sogar glauben.
Neben der Erforschung der kulinarischen Genüsse der Stadt verbrachte ich viel
Freizeit mit der Erkundung der Stadt selbst. Prag ist in den Weltkriegen nahezu
unzerstört geblieben und bietet daher ein grandioses architektonischen Panorama
von der Romanik bis in die Moderne. Hinzu kommen mehrere grosse Grünanlagen
auf den Hügeln rings um die Stadt, die mit Sternwarten, Biergärten, Sportplätzen
und anderem mehr locken.
Für Passivsportler ist im Land des Weltmeisters und Olympiasiegers Eishockey
Pflichtprogramm. In der ca. 14.000 Zuschauer fassenden Arena von Sparta Praha
die Play-offs der tschechische Hockey-Meisterschaft zu erleben war ein unvergessliches
Erlebnis, auch wenn Prag am Ende nur Vizemeister wurde.
Unvergesslich wie die gesamten vier Monate in der - wenn man den Stadtwappen
Glauben schenkt - Mutter aller Städte.
(Auszug aus einem Artikel für das fOLIUM 1/02)